Politik

Wasser predigen, Wein trinken

Die Herausforderungen der Zukunft werden wir nur bestehen, wenn sich einschränkende Massnahmen am Grundsatz der Opfersymmetrie orientieren.

Dies gelesen: «Blick verlost zusammen mit der Airline Etihad 4 Flüge nach Abu Dhabi! So kannst du mit deinen Freunden oder deiner Familie den Sommer ein wenig verlängern.» (Quelle: www.blick.ch, 5.8.2022)

Das gedacht: Die Webseite des Blicks liest sich wie das Protokoll des Weltuntergangs. Die Klimakatastrophe prägt die Schlagzeilen: Nach dem Hitzesommer kommt der Überschwemmungsherbst. Die Waldbrände in Griechenland konfrontieren uns mit der Klimakrise. Europa trocknet aus. Skifahren wird bald nicht mehr möglich sein. 35 Milliarden Schaden durch Naturkatastrophen. Kinderlos des Klimas wegen.

Auch in den Kommentarspalten geht es bewegt zu. Beklagt wird von der Gesellschafts-Redaktorin die «dumpfzögerliche Haltung» unserer Politik, die nach ihrer Ansicht viel zu langsam agiert. Wie viele Wälder müssen noch brennen wie in Frankreich, Spanien, Italien, England? Wie viele Arten zugrunde gehen? Wie viele Menschen müssen an Hitze sterben, bis wir endlich begreifen, dass es so nicht weitergeht? So ihre eindringlichen Fragen.

Sehr viel weniger eindringlich fallen die Antworten aus. Um die eigenen Pushnachrichten zu pushen, verlost der Blick vier Flüge nach Abu Dhabi. Mit dem Jet zur Sommerverlängerung an die Sonne. Gratis und franko. Dumpfzögerlich ist offensichtlich nicht nur die Haltung der Politik zur Klimakrise, sondern auch diejenige der Blick-Redaktion.

Nun darf man von niemandem erwarten, dass er päpstlicher ist als der Papst ist. Ohne ein gesundes Mass an Inkonsequenz wird das Leben ungemütlich. Wenigstens soweit es um das eigene Verhalten geht. Zudem, niemand wird gezwungen, den Blick zu lesen.

Anders sieht es in der Politik und in unseren Unternehmen aus. Hier ist Glaubwürdigkeit das wichtigste Kapital. Regierungen und Verwaltungen, die mit Blick auf die Herausforderungen des Klimawandels den Verzicht predigen und Einschränkungen durchsetzen, selbst aber in grossartigen Verwaltungspalästen residieren und von überdurchschnittlichen Gehältern, automatischen Lohnerhöhungen und grosszügigen Lohnnebenleistungen profitieren, haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dies trifft auch auf Parteien zu, die Kurzstreckenflüge verbieten wollen, deren Bundesräte jedoch das eigene Glück hinter dem Steuerknüppel eines Privatflugzeugs finden. Fragwürdig auch wachstumskritische Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die pausenlos neue und noch umfangreichere Staatsausgaben fordern. Vergleichbares gilt für Exponenten der Landeskirchen, die unsere Wirtschaft kritisieren und sich gleichzeitig über die Kirchensteuern der Unternehmen finanzieren.

Nicht besser viele Vertreter der internationalen Konzernwirtschaft. Beispielsweise WEF-Teilnehmer, die in Privatjets und mit dem Helikopter anreisen, um in Davos über den Klimawandel zu diskutieren und vom «Great Reset» zu träumen. Übertroffen werden all diese Doppelbödigkeiten von Managern, die Millionenboni kassieren und zeitgleich Mitarbeitende aus Kostengründen auf die Strasse stellen.

Wirtschaft, Politik und Medien leiden unter einer Vertrauenskrise. Wer Wasser predigt, selbst aber Wein trinkt, verliert an Gefolgschaft. Ganz besonderes in Krisenzeiten. Die Herausforderungen der Zukunft werden wir nur bestehen, wenn sich Einschränkungen am Grundsatz der Opfersymmetrie orientieren. Massnahmen, die wie bei Corona in ihren finanziellen Konsequenzen einzig die Lohnabhängigen und Selbständigerwerbenden der privaten Wirtschaft treffen, den öffentlichen Sektor jedoch verschonen, können rasch einmal zum berühmten Tropfen werden, der das Fass zum Überlaufen bringt.

One Response

hanspeter geisser sagt:

lieber herr weigelt,
treffend formuliert und die traurige wahrheit auf den punkt gebracht. danke dafür,

hanspeter geisser, ehemaliger mitarbeiter schiff lerchenfeld

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