Von der Schweiz für die Schweiz?
Stossend ist, wenn Behörden, die unter Androhung von Sanktionen Schweizer Löhne durchsetzen, sich durch eine Auftragsvergabe ins Ausland den Konsequenzen des eigenen Lohndiktats entziehen.
Dies gelesen: «Printed in Germany» (Quelle: Lohnbuch 2021, Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich)
Das gedacht: Die Schweiz hat einen liberalen Arbeitsmarkt. So heisst es. In Tat und Wahrheit ist auch bei uns alles, was in irgendeiner Art und Weise mit beruflichen Tätigkeiten zu hat, in hohem Masse durchreguliert.
Dazu gehören die im Rahmen der Personenfreizügigkeit mit der EU eingeführten Flankierenden Massnahmen. Ziel der Flankierenden Massnahmen ist es sicherzustellen, dass ausländische Arbeitskräfte und Firmen das in der Schweiz geltende Lohn- und Sozialniveau nicht missbräuchlich unterschreiten. Verhindert werden sollen Lohndumping und missbräuchliche Arbeitsbedingungen.
Als eine der Konsequenzen der Flankierenden Massnahmen hat sich die Zahl der Arbeitsverhältnisse verdreifacht, die einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag unterstellt sind. Vor zwanzig Jahren waren es rund 350’000 Arbeitnehmende. Heute sind es deutlich über eine Million. Für alle anderen Berufe gelten die sogenannten orts- und branchenüblichen Referenzlöhne. Diese werden von den tripartiten Kommissionen der Kantone und des Bundes berechnet und durchgesetzt.
Jedes Jahr kontrolliert die staatliche Arbeitsmarktpolizei schweizweit rund 40’000 Betriebe. 80 Prozent der kontrollierten Beschäftigten arbeiten bei einem Schweizer Arbeitgeber. Was uns der Bundesrat einst als Kontrolle ausländischer Firmen und als Instrumente zur Missbrauchsbekämpfung verkauft hat, entwickelte sich zu einer umfassenden staatlichen Überwachung des nationalen Arbeitsmarkts.
Nun liegt es auf der Hand, dass angesichts der Vielfalt von Berufen, Branchen, unterschiedlichen regionalen Begebenheiten und insbesondere den individuellen Voraussetzungen der einzelnen Beschäftigungsverhältnisse der Vollzug dieses Bürokratiemonsters einige Schwierigkeiten bereitet. Und so versucht man halt wie gewohnt das Feuer mit Benzin, respektive viel Papier zu löschen.
Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich erarbeitete ein Lohnbuch, das auf mehr als 700 Seiten rund 9’400 Lohnangaben zu allen denkbaren Berufen liefert. Wer das Buch zur Hand nimmt, weiss nach der Lektüre auf Franken und Rappen genau, welcher Lohn einer Applikationsentwicklerin, einem Produktmanagers in der Werbebranche, einer Fitnesstrainerin oder einem Lastwagenchauffeur zu bezahlen ist.
Wie das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich stolz verkündet, erhielt das Lohnbuch mit der 12. Ausgabe einen neuen Auftritt. Rot als neue Grundfarbe zieht sich vom Cover durch das gesamte Buch hindurch. Sie steht, gemäss der behördlichen Medienmitteilung, symbolisch für ein Buch von der Schweiz für die Schweiz.
Von der Schweiz für die Schweiz? Schön wär’s. Gedruckt wird das Lohnbuch in Deutschland. Dies mit einer bemerkenswert ehrlichen Begründung: «Verantwortlich für den Druck zeichnet der herausgebende Verlag Orell Füssli. Wir können nachvollziehen, weshalb der Auftrag an eine deutsche Druckerei vergeben wurde. Der Verlag hat Angebote auch von Schweizer Druckereien geprüft und stellte fest, dass die deutsche Druckerei den Auftrag zu signifikant tieferen Kosten erfüllen kann.» So die verantwortliche Abteilungsleiterin der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich in ihrer Antwort auf meine Anfrage.
Um richtig verstanden zu werden. Ich kämpfte immer für offene Grenzen und lehne jede Form von Heimatschutz ab. Mehr als nur stossend ist aber, wenn Behörden, die unter Androhung von Sanktionen Schweizer Löhne durchsetzen, sich durch eine Auftragsvergabe ins Ausland den Konsequenzen des eigenen Lohndiktats entziehen.
Immerhin, man kann auch dieser Doppelmoral einen positiven Aspekt abgewinnen. Besser als das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich kann man die Fragwürdigkeit der vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Flankierenden Massnahmen nicht dokumentieren. Der Reformbedarf ist offensichtlich.