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Teilzeit-Home-Office-Work-Life-Balance-Generation

Wer flickt in Zukunft am Wochenende die ausgefallene Heizung oder sorgt für vom Schnee geräumte Strassen? Der Youtuber und die Influencerin? Wohl kaum.

Dies gelesen: Jetzt geht’s um die Wurst! Personalnot bei Migros und Co. stellt Fleischtheke in Frage – werden gar die Öffnungszeiten gekürzt? (Quelle: www.tagblatt.ch, 5.1.20023).

Das gedacht: Der Arbeitskräftemangel ist allgegenwärtig. Dabei stehen wir erst am Anfang der Entwicklung. Dies zeigen die offiziellen Statistiken. Von 1991 bis 2021 ist die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz um 24,7 Prozent von 6,8 auf 8,7 Millionen gestiegen. Im Gleichschritt mit der Bevölkerung hat sich die Zahl der Erwerbstätigen entwickelt. Aktuell arbeiten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nicht weniger Personen als vor zwanzig Jahren. Die wirklichen Konsequenzen der demografischen Krise werden sich erst in den nächsten Jahren so richtig bemerkbar machen, wenn die Babyboomer in Pension gehen.

Verändert hat sich jedoch das geleistete Arbeitsvolumen. 1991 arbeitete eine erwerbstätige Person in der Schweiz durchschnittlich 1718 Stunden im Jahr, 2021 waren es noch 1534 Stunden. Wir arbeiten immer weniger, sind unterwegs in die Teilzeit-Gesellschaft. Dies hat verschiedene Gründe. Um sich die Erziehungsverantwortung für die Kinder zu teilen, entscheiden sich in jungen Familien beide Elternteile für eine Reduktion des Arbeitspensums. Andere wollen mehr Zeit für ihr Hobby oder ein ausserberufliches Engagement. In vielen Fällen es ist schlicht und einfach die komfortable finanzielle Lage, die mehr Freizeit möglich macht. Doppelverdiener, die beide beim Bund zum Durchschnittslohn angestellt sind, verdienen zusammen 250’000 Franken. Unter diesen Voraussetzungen kann man problemlos zu Gunsten von mehr arbeitsfreier Zeit auf etwas Lohn verzichten. Bezeichnenderweise arbeiten denn auch 40 Prozent der Bundesangestellten in einem Teilzeitpensum.

Bei der eingangs angesprochenen Personalnot von Migros und Co. kommt eine weitere wesentliche Veränderung im Arbeitsmarkt hinzu. Immer weniger Menschen sind bereit, auch nach Büroschluss, draussen, bei Wind und Wetter, am Abend, an den Wochenenden und mit unregelmässigen Einsatzzeiten zu arbeiten. Dies gilt nicht nur für den Einzelhandel, die Gastronomie und viele Handwerksberufe. Auch die Polizei und das Gesundheitswesen leiden unter fehlendem Personal. Eine Negativ-Entwicklung, die sich durch das Corona-Regime beschleunigte. Alle Berufe mit direktem Kundenkontakt gehörten zu den Verlierern. Im Gegensatz zu vielen Büroangestellten, die ihre Arbeit weich gebettet von zu Hause erledigen konnten.

Fraglich ist allerdings, ob die Rechnung der Teilzeit-Home-Office-Work-Life-Balance-Generation nach wohliger Lebensgestaltung aufgehen wird. Diese Erwartung setzt nämlich voraus, dass arbeitswillige Menschen die nachgefragten Serviceleistungen erbringen. Auch zu Randzeiten. Und dies ist alles andere als gesichert. Bereits heute fällt der beliebte Sonntagsbrunch beim Bäcker in Mörschwil aus, weil dessen Mitarbeitenden ebenfalls das Wochenende geniessen wollen. Die Gastgebenden des trendigen Altstadtlokals reduzieren die Öffnungszeiten, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Und selbst in der Genossenschaftsbeiz gibt es am Abend lediglich die kleine Karte. Auch das linke Kollektiv hat wenig Lust auf Nachtarbeit. Und wer flickt in Zukunft am Wochenende die ausgefallene Heizung oder sorgt für vom Schnee geräumte Strassen? Der Youtuber und die Influencerin? Wohl kaum.

Wirklich ernst wird die ganze Angelegenheit, wenn man sich die Konsequenzen fehlender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Spitälern und bei der Polizei vor Augen hält. Die Frage nach der richtigen Work-Life-Balance wird sich spätestens dann nicht mehr stellen, wenn die dringend notwendige Operation wegen fehlendem Pflegepersonal nicht durchgeführt werden kann und die Sicherheit im eigenen Wohnquartier nicht mehr gewährleistet ist. Vielleicht ist dies dann der Zeitpunkt, an welchem auch die Öffentlichkeit realisiert, dass die wichtigen Dinge des Lebens sehr viel mit dem Mann und der Frau von der Strasse und weniger mit den Teppichetagen in Politik und Wirtschaft zu tun haben.

One Response

Daniel Bausch sagt:

Der Inhalt des Artikels überzeugt. Leider stört die verwendete Gendersprache (Substantivierungen, männliche und weibliche Bezeichnungen in Kombination) den Lesefluss deutlich. Schade.

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