Posts Tagged ‘Milizsystem’

Politik

Von nichts kommt nichts

 Vom Gebärsaal in den Hörsaal, vom Hörsaal in den Ratssaal. So einfach ist es.

Dies gelesen: «Alain Berset – ein Mann sucht Bodenhaftung.» (Quelle: www.tagblatt.ch, 12.7.2022)

Das gedacht: Gleich zu Beginn die Entwarnung. Dies ist kein weiterer Artikel zu den Eskapaden von Bundesrat Berset. Dazu ist schon alles gesagt. Nachzudenken lohnt sich aber über die von Stefan Schmid in seinem Tagblatt-Kommentar angesprochene Frage der Bodenhaftung.

Geht es im Fall Berset wirklich um einen Bundesrat, der während der Pandemie zum Pop-Star einer biederen Classe politique geworden ist und deswegen die Bodenhaftung verloren hat? Haben wir es nicht vielmehr mit einem politischen System zu tun, das insgesamt keine Bodenhaftung mehr kennt? Ist der Fall Berset weniger ein persönliches als ein grundsätzliches Problem?

In diese Richtung wenigstens weist die Karriere von Alain Berset. Von 1992 bis 2005 studierte Berset Politik- und Wirtschaftswissenschaften. Rekordverdächtige 26 Semester. Während seiner Doktorarbeit arbeitete er als Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für regionale Wirtschaftsentwicklung der Universität Neuenburg. Anschliessend war Berset als Gastforscher am Institut für Wirtschaftsforschung in Hamburg tätig, bevor er strategischer Berater im Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Neuenburg wurde.

2003 wählte das Freiburger Volk Berset in den Ständerat. Acht Jahre später war er Bundesrat. Ohne jeden Bezug zur Realwirtschaft, ohne je eine Erwerbstätigkeit ausserhalb staatlicher Institutionen ausgeübt zu haben und ohne jeden beruflichen Kontakt zur arbeitenden Bevölkerung jenseits des akademischen Milieus. Vom Gebärsaal in den Hörsaal, vom Hörsaal in den Ratssaal. So einfach ist es. Bodenhaftung? Fehlanzeige! more

Politik

Kennsch no meh, wo geen wörid hölf

Die Pandemie hat uns entgegen linken Erwartungen nicht zu besseren Menschen gemacht. Im Gegenteil. Freiwilligkeit und Solidarität sind auf dem Rückzug.

Dies gelesen: «Insieme Ostschweiz sucht verzweifelt Betreuerinnen und Betreuer für ausgebuchte Ferienlager.» (Quelle: www.tagblatt.ch, 6.7.2022)

Das gedacht: Die Bereitschaft breiter Kreise der Bevölkerung, die einschneidenden Corona-Massnahmen mitzutragen, feierten viele politische Beobachter als Ausdruck einer besseren Welt. Man interpretierte die Zustimmung zu den Covid 19-Gesetzen und die mehrheitlich widerstandlose Gehorsamkeit gegenüber dem staatlichen Corona-Regime im Sinne einer neu erwachten Solidarität.

Auf den Punkt brachte diese Begeisterung der bereits in meinem letzten Artikel zitierte WOZ-Redaktor Renato Beck: «Eine überwiegende Mehrheit der Menschen in der Schweiz nimmt sich aus Rücksicht auf ein grösseres, gemeinsames Ziel zurück.» Mit viel Pathos beschrieb der linke Journalist den Sieg des Kollektivs über Freiheit und Selbstverantwortung.

Und nun das. Kaum sind die Corona-Massnahmen Geschichte, hat sich die neue Solidarität in Luft aufgelöst. An allen Enden und Ecken fehlen Freiwillige. Die Ferien einer Arbeitskollegin, die auf den Rollstuhl angewiesen ist, wurden mangels Betreuungspersonen abgesagt. Auch Insieme Ostschweiz, die jedes Jahr Ferienlager für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen organisiert, fehlen Freiwillige. Die Ferienangebote stehen auf der Kippe. «Das hat es in diesem Ausmass noch nie gegeben», sagt Claudia Lamminger von Insieme Ostschweiz. more

Politik Wissen

Freude an der Sache

Eine staatliche Ordnung, die auf einem grundlegenden Misstrauen gegenüber dem Bürger basiert, die alles kontrolliert und sanktioniert, verdrängt den Gemeinsinn.

Dies gelesen: «So krass war der Lehrermangel noch nie.» (Quelle: www.tagesanzeiger.ch, 7.6.2022)

Das gedacht: Schweizweit fehlen Lehrerinnen und Lehrer. Im Kanton Thurgau sind zurzeit 75 Stellen für ein Pensum von 50 bis 100 Prozent offen. Im Kanton Aargau sind es 392. Als Gründe werden steigende Schülerzahlen und die Pensionierung der Babyboomer-Generation genannt.

Ein zentrales Problem sind die vielen Aussteiger. Die Präsidentin des Lehrerinnen- und Lehrerverbandes erklärt dies unter anderem mit zu tiefen Löhnen. Bildungsforscher dagegen weisen darauf hin, dass Primarlehrer im Vergleich zu Personen mit einem dreijährigen Fachhochschulstudium «sehr gut» dastehen.

Nur am Rande erwähnt wird in der aktuellen Berichterstattung ein möglicherweise weit grundlegenderes Problem: Die Bürokratiefalle. Eine Untersuchung aus dem Kanton Schwyz zeigt, dass Lehrpersonen heute weniger als die Hälfte der Arbeitszeit für das Unterrichten aufwenden. Seit zwei Jahrzehnten jagt eine Reform die nächste. Lehrer und Schulen klagen über «Reformitis». Die Schulverwaltungen, Fragen der Organisation, Koordination und Absprachen überlagern den Unterricht. Alles muss dokumentiert werden. Dies auch als Folge einer massiv gesteigerten Anspruchshaltung der Eltern. more

Politik

Von Arbeitern und Handwerkern keine Spur

Politische Gremien sollten in ihrer Zusammensetzung ein Abbild der Gesellschaft sein. Eigenartigerweise gilt dies aber nur mit Blick auf das Geschlecht.

Dies gelesen: «Für Helvetia ist klar: Solange Frauen und Männer noch nicht zu gleichen Teilen in den Schweizer Parlamenten vertreten sind, wird die Schweizer Demokratie mit jeder weiteren gewählten Frau eine bessere.» (Quelle: allicance F, https://de.alliancef.ch/helvetia-ruft/)

Das gedacht: Einverstanden. Ein Parlament, das die Bevölkerung korrekt repräsentiert, muss in etwa zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern bestehen. Vergleichbares gilt für unsere Regierungen. Politische Gremien sollten in ihrer Zusammensetzung ein Abbild der Gesellschaft sein.

Eigenartigerweise gilt dies aber nur mit Blick auf das Geschlecht. Ein aus sozioökonomischer Sicht repräsentatives Parlament dagegen interessiert nicht. 80% der Parlamentarierinnen und Parlamentarier der SP haben eine Hochschule abgeschlossen, so die NZZ. Bei den Grünen sind es gar 90 Prozent. Von Angestellten, Arbeitern und Handwerkern keine Spur. Die präsidiale Doppelspitze der SP wechselte direkt vom Gebärsaal in den Hörsaal und vom Hörsaal in den Parlamentssaal.

Machen wir uns nichts vor. Der Alltag einer Nationalrätin, die in einem gutgestellten Umfeld aufgewachsen ist, ein Studium absolvierte und heute für ihren Teilzeit-Job im Bundeshaus zusätzlich zu ihrem privaten Einkommen weit über 100’000 Franken verdient, hat mit der Lebenswirklichkeit einer Verkäuferin oder einer geringverdienenden alleinerziehenden Mutter nichts, aber auch gar nichts zu tun. Da hilft auch das gemeinsame Frausein nicht weiter. Vergleichbares gilt für den Parlamentarier, der nebenbei als Anwalt und Pflichtverteidiger stolze Honorare kassiert. Notabene auf Kosten der Allgemeinheit und meilenweit entfernt von den Sorgen und Nöten der arbeitenden Bevölkerung. more