Politik

Reaktionäre Linke

In den Köpfen von Rotgrün rauchen unverändert die Kaminschlote des Industriezeitalters. 

Dies gelesen: «Es geht doch darum, dass der ganze fortschrittliche Block gestärkt wird.» (Quelle: Paul Rechsteiner, www.blick.ch, 26.8.2022)

Das gedacht: Ständerat Paul Rechsteiner gibt sich altersmilde. Er hat keine Probleme damit, dass die Grünen auf Kosten der Sozialdemokraten Wahlen gewinnen. Für ihn ist entscheidend, dass der fortschrittliche Block gestärkt wird.

Dumm nur, dass der rotgrüne Fortschritt im Rückwärtsgang unterwegs ist. Zum Beispiel bei der Sicherung der AHV. SP und Grüne lehnen die AHV-Vorlagen ab, über die wir am 25. September abstimmen. Der Grundgedanke der AHV ist, dass die Erwerbstätigen mit ihren Lohnabzügen die Rente der Menschen im Ruhestand finanzieren. Bei Einführung der AHV im Jahre 1948 kamen etwas mehr als sechs Personen im Erwerbsalter auf eine AHV-Rentnerin oder einen AHV-Rentner. Seither hat sich dieses Verhältnis ziemlich genau halbiert. Auf eine Person im Ruhestand kommen noch etwas mehr als drei Erwerbstätige. Und dabei stehen wir erst am Anfang der grossen Pensionierungswelle der Babyboomer. Die Erwerbstätigen finanzieren eine immer grössere Zahl an Menschen im Ruhestand. Eine Rechnung, die ohne Reformen nicht aufgehen kann. Der Handlungsbedarf ist offensichtlich. Und trotzdem macht Rotgrün auf Realitätsverweigerung und verharrt im Denken der Nachkriegsjahre des letzten Jahrhunderts.

Vergleichbares gilt für Paul Rechsteiners Steckenpferd, die Arbeitsmarktpolitik. Das aktuelle Arbeitsmarktgesetz stammt aus dem Jahre 1964. Damals arbeitete die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung in der Industrie oder im produzierenden Gewerbe. Die Stempeluhr prägte den Arbeitsalltag. Heute arbeiten fast vier von fünf Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor. Computer sind allgegenwärtig und verändern die Arbeitswelt. Dies alles ist bei den Linken nicht angekommen. Jede Anpassung der staatlichen Arbeitsmarktpolitik an die Bedürfnisse einer gut ausgebildeten, flexiblen und selbstbewussten Arbeitnehmerschaft wird bekämpft. In den Köpfen von Rotgrün rauchen unverändert die Kaminschlote des Industriezeitalters.

Was steckt nun aber hinter dieser reaktionären linken Politik? Vieles hat mit den Gesetzmässigkeiten der politischen Ökonomie zu tun. Wahlen gewinnt man nicht mit unangenehmen Wahrheiten, sondern mit Wahlgeschenken zu Gunsten der eigenen Klientel. Besonders lohnend ist es, wenn man wie beim Nein zur AHV-Reform den Schwarzen Peter an die kommenden Generationen weiterreichen kann. Zu hoffen ist, dass das Stimmvolk dieses unfaire Spiel durchschaut und Rotgrün die rote Karte zeigt.

Wohl noch entscheidender für den Wandel von der emanzipatorischen zur reaktionären Linke ist der erfolgreiche Marsch durch die Institutionen. Rotgrün ist schon längst bei den Futtertrögen der politischen Macht und den damit verbundenen Privilegien angekommen. Bereits Machiavelli wusste, dass der grösste Feind der neuen Ordnung ist, wer aus der alten seine Vorteile zog. Beispielhaft erleben wir dies bei den flankierenden Massnahmen. Diese garantieren den Gewerkschaften Einnahmen in Millionenhöhe sowie einen politischen Einfluss, der ihre rückläufigen Mitgliederzahlen überkompensiert. Dass man diese zwangsfinanzierte Hängematte nicht gegen ein institutionelles Rahmenabkommen eintauschen will, versteht sich von selbst.

Immerhin, eine positive Nachricht bleibt. Paul Rechsteiner zeigt völlig überraschend so etwas wie einen Anflug von Humor. Ausgerechnet ein Politiker, der während 20 Jahren als Gewerkschaftsboss unterwegs war und seit 35 Jahre in Bundesbern sitzt, der den Stillstand gewissermassen perfektioniert hat, sieht sich selbst als Speerspitze des Fortschritts. Vielmehr Realsatire geht nicht.

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