Politik

Manipulierte Meinungsbildung

Bundesräte, die den Bezug zur Realität verloren haben, können zurücktreten. Kaum jemand wird sie vermissen. Anders sieht es aus, wenn politischer Opportunismus unsere Institutionen beschädigt.

Dies gelesen: ««Nächste Woche stehen wichtige Entscheide an. Wenn es Ihnen dient, kann ich gerne einen Austausch mit Bundesrat Berset gegen Ende Woche organisieren.» (Mail von Peter Lauener an Marc Walder, Quelle: ww.nzz.ch, 21.1.2023)

Das gedacht: Zugegeben. Ich bin etwas naiv. In meinem Demokratieverständnis ist das Stimmvolk der Souverän. Ganz besonders in einer direkten Demokratie, in der Sachfragen von grundlegender Bedeutung vom Volk und den Ständen entschieden werden. Die Gesetzgebungskompetenzen liegen bei den Parlamenten, der Legislative. Die Aufgabe des Bundesrates, der Exekutive, ist es, diese Gesetze zu vollziehen.

So weit, so klar. Ebenso klar ist, dass Berufspolitiker an dieser Aufgabenteilung wenig Freude haben. Überzeugt von der eigenen Überlegenheit erleben diese das Stimmvolk als Sand im Getriebe. Und so gibt man Gegensteuer. Zum Beispiel über die Manipulation der veröffentlichten Meinung. Die eingangs zitierte «Zusammenarbeit» zwischen dem Departement Berset und dem Ringier-Konzern ist dabei nur die besonders hässliche und möglicherweise strafrechtlich relevante Spitze des Eisbergs. Und dieser Eisberg hat es in sich. Im Jahre 2021 investierte die Bundesverwaltung über 120 Millionen Franken in die Öffentlichkeitsarbeit. In Vollzeitstellen gerechnet erklärten uns nicht weniger als 410 bundeseigene Kommunikationsverantwortliche tagein tagaus, was richtig und was falsch ist und wie wir uns zu verhalten haben. Im Vergleich zu dieser staatlichen Propagandawalze sind die PR-Budgets der Parteien, Verbände und Interessenorganisationen nicht viel mehr als laue Lüftchen im Orkan der politischen Auseinandersetzung.

Angesichts dieser behördlichen Übermacht drängt sich Frage auf, weshalb sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht gegen die exekutive Einflussnahme zur Wehr setzen. Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand: Man hat selbst Dreck am Stecken. Auch das Parlament versucht immer wieder, das Stimmvolk auszutricksen. Zum Beispiel durch die Verknüpfung von zwei sachfremden Abstimmungsvorlagen. So bei der Verbindung von Unternehmenssteuerreform und AHV-Finanzierung im Jahre 2019. Den Wählerinnen und Wählern wurde gezielt die Möglichkeit verwehrt, gegen die Unternehmenssteuerreform und gleichzeitig für die AHV-Finanzierung zu sein. Oder umgekehrt.

Trickreich zeigt sich das Parlament auch, wenn es darum geht, bei einer Volkabstimmung das Ständemehr auszuschalten. Das Zauberwort heisst indirekter Gegenvorschlag. Über einen solches Manöver stimmen wir demnächst ab. Die professionell aufgezogene Gletscherinitiative findet im städtischen Umfeld viel Sympathie. Die Wahrscheinlichkeit jedoch ist gross, dass die Initiative am Ständemehr scheitern könnte. Kleinere, bürgerlich geprägte Kantone sieht man eher im Nein-Lager. Um dieses Risiko auszuschalten, stellte die Parlamentsmehrheit der extremen Initiative einen nicht viel weniger extremen Gegenvorschlag gegenüber. Dies mit der erhofften Wirkung. Die Initianten zogen ihre Initiative zurück. Sie haben ihre Ziele erreicht. Nicht erfüllt hat sich dagegen die Hoffnung, dass die Gletscherinitiative über den indirekten Gegenvorschlag ohne Volksabstimmung und damit ohne parteipolitische Zerreissproben zu einem Teil unserer Rechtsordnung wird. Die SVP ergriff das Referendum. Voraussichtlich im kommenden Juni werden wir darüber abstimmen. Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass es nun nicht mehr um eine Verfassungsvorlage, sondern nur noch um ein neues Gesetz geht. Für die Annahme braucht es nicht mehr das Ständemehr. Es reicht das Volksmehr.

Möglicherweise tönt dies alles etwas kompliziert. Im Grunde genommen aber ist es einfach. Ob bei der Staatspropaganda, den Indiskretionen aus dem Umfeld der Regierung, den Standleitungen zwischen Behörden und Medienschaffenden, bei der Missachtung des Grundsatzes der Einheit der Materie bei Volksabstimmungen oder der Ausschaltung des Ständemehrs über einen indirekten Gegenschlag, immer geht es um den Versuch von Parlamentsmehrheiten, Regierung und Verwaltung, die Meinungsbildung des Volkes zu manipulieren und die eigene Agenda durchzusetzen.

Eine direkte Demokratie funktioniert von unten nach oben, und nicht umgekehrt. Dies setzt den Respekt der Behörden gegenüber dem Volk und unseren Institutionen voraus. Wer mit Schlaumeiereien versucht, die direkte Demokratie auszuhebeln, sägt am Ast, auf dem wir alle sitzen. Bundesräte, die den Bezug zur Realität verloren haben, können zurücktreten. Kaum jemand wird sie vermissen. Anders sieht es aus, wenn politischer Opportunismus unsere Institutionen beschädigt. Auf dem Spiel steht dann nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft unseres Staatswesens.

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