In Stein gemeisselt
Jede bürokratische Organisation, ob öffentlich oder privat, beschäftigt sich in erster Linie mit sich selbst. Verwaltungen wachsen selbst dann, wenn die Kernaufgabe wegfällt.
Im Jahre 1991 stimmte die Stimmbevölkerung der Stadt St.Gallen dem «Erlass von Nutzungsvorschriften für den Schutz des Wohnens in der Altstadt» zu. Der Nutzungsplan definiert, welche Geschosse in einer Altstadtliegenschaft gewerblich und welche als Wohnraum genutzt werden dürfen.
Wie jede Planwirtschaft führte auch der Nutzungsplan zu teilweise grotesken Ergebnissen. Benachbarte Liegenschaften in derselben Gasse werden bis heute ohne nachvollviehbaren Grund unterschiedlich behandelt. Hier sind zwei Nicht-Wohngeschosse, dort drei erlaubt. In einzelnen Häusern stehen die oberen Stockwerke leer. Das Umnutzungs-Diktat lässt sich mit vertretbarem Aufwand nicht realisieren.
In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts befürchtete man die weitgehende Verdrängung der Bewohner der Altstadt durch kommerzielle Nutzungen. Ziel des Nutzungsplans war und ist es, in der Altstadt die Umnutzung von Wohnraum durch Büroflächen zu verhindern.
Mit der Wirklichkeit von heute haben diese Befürchtungen nichts mehr zu tun. Im Gegenteil. Entsprechend den Mietangeboten auf der Webseite der Stadt St.Gallen gibt es in der Innenstadt über 13’000 Quadratmeter leerstehende Büroflächen. Mehr als das Doppelte der ebenfalls auf der Webseite der Stadt ausgeschriebenen unvermieteten Ladenflächen. Beide Listen werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit geführt.
Wir haben im Stadtzentrum nicht nur ein Ladensterben, sondern auch ein Bürosterben. Im Gegensatz zu leerstehenden Ladengeschäften entziehen sich jedoch unvermietete Büros der unmittelbaren Wahrnehmung und sind daher in der öffentlichen Diskussion kaum ein Thema. Dabei stehen wir möglicherweise erst am Anfang einer Negativspirale. Die Digitalisierung wird die Nachfrage nach Büroarbeitsplätzen weiter reduzieren. Dies mit einschneidenden Folgen für das Stadtzentrum als regionales Wirtschaftszentrum.
Die Verdrängung von Wohnraum durch Büronutzungen in der Innenstadt ist Geschichte. Und trotzdem wendet die Verwaltung frisch, fromm, fröhlich und frei den heute nutzlosen Nutzungsplan an. Staatliche Vorschriften sind in Stein gemeisselt. Dies aus zwei Gründen:
Erstens: Jede bürokratische Organisation, ob öffentlich oder privat, beschäftigt sich in erster Linie mit sich selbst. Entscheidend ist der Vollzug, die eigene Beschäftigung und nicht das Ergebnis. Verwaltungen wachsen selbst dann, wenn die Kernaufgabe wegfällt. So C. Northcote Parkinson in seinen vor siebzig Jahren formulierten Parkinsonschen Gesetzen. Dazu einige wenige Fakten: Im Jahre 1995 zählte die Schweiz rund 58’000 öffentliche Verwaltungsangestellte. Heute sind es über 90’000. Allein die Bundesgesetze umfassen zusammen mehr als 70‘000 Seiten. Jedes Jahr kommen über 1000 Seiten dazu.
Zweitens: Gesetze und Verordnungen vermitteln Macht. Macht von Politik und Verwaltung über die einzelne Bürgerin und den einzelnen Bürger. Dies zeigt beispielhaft der Nutzungsplan. Nicht der Eigentümer, sondern die politische Verwaltung entscheidet über die Nutzung einer privaten Liegenschaft. Dies ganz im Sinne der Sozialisten in allen Parteien. Und diese verteidigen ihre Macht. Koste es, was es wolle.
Was tun? Eine immer wieder diskutierte Massnahme wäre ein Verfalldatum für Gesetze. Gesetze sind nicht mehr unbeschränkt gültig, sondern beispielsweise nur noch für zehn Jahre. Danach wird überprüft, ob das Gesetz etwas gebracht hat. Wenn ja, wird es erneuert. Wenn nein, wird es gestrichen. Ein sinnvoller Vorschlag. Und wohl gerade deshalb chancenlos.
Und so wird man in St.Gallen auch noch in zehn Jahren in leerstehenden Gebäuden Nutzungsvorschriften durchsetzen. Dabei geht das Entscheidende vergessen: Auch Unternehmen verhalten sich rational. Investiert wird dort, wo die Rahmenbedingungen stimmen. Hohe Steuern, einschränkende Regulierungen und fehlende Parkplätze vernichten Arbeitsplätze. Eine Tatsache, die sich weder mit einer tollen Marketingkampagne, noch mit Märlikabinen und subventionierten E-Cargobikes aus der Welt schaffen lässt. Symbolpolitik löst keine Probleme.