Der Service public gehört auf den Prüfstand
Staatsunternehmen sind gekommen, um zu bleiben. Koste es, was es wolle. Der damit verbundene Schaden geht über Kaufkraftverlust und unfaire Konkurrenz hinaus. Auf der Strecke bleiben die von Schumpeter mit dem Begriff der schöpferischen Zerstörung beschriebenen Erneuerungsprozesse.
Dies gelesen: «Wir brauchen etwa sieben bis acht Pakete, um gleich viel zu verdienen wie mit einem einzigen Brief.» (Post-Chef Robert Cirillo, Tagblatt, 15.3.2024)
Das gedacht: Bemerkenswert. Der Post-Chef nennt das Kind beim Namen. Die Briefpost ist die Henne mit den goldenen Eiern. Weniger ehrlich ist seine Begründung. Die hohe Marge auf der Briefpost lässt sich nicht mit der Tatsache erklären, dass man Briefe im Gegensatz zu Paketen ohne Probleme automatisch verarbeiten kann.
Vielmehr ist es das Briefmonopol, das der Post überdurchschnittliche Gewinne garantiert. Während bei den Paketen die Post im Wettbewerb mit hocheffizienten privaten Unternehmen steht, kann sie bei der Briefpost die Preise nach Lust und Laune selbst bestimmen. Nicht der Kunde, sondern die Post selbst ist die Königin.
Service public
Diese wundervolle Geldvermehrung hat einen nicht weniger wundervollen Namen: Service public. Dieser steht mit den Worten des Bundesrates und in bestem Beamtendeutsch für eine politisch definierte Grundversorgung mit Infrastrukturgütern und Infrastrukturdienstleistungen, welche für alle Bevölkerungsschichten und Regionen des Landes nach gleichen Grundsätzen in guter Qualität und zu angemessenen Preisen zur Verfügung stehen sollen.
Privaten Unternehmen traut man dies in der Schweiz nicht zu. Eine zumindest aus historischer Sicht fragwürdige Betrachtungsweise. Der atemberaubend rasche Ausbau der Eisenbahninfrastruktur im 19. Jahrhundert kam nur dank privaten Unternehmen und kantonalen Konzessionen zustande. Verstaatlicht wurde die Eisenbahn erst kurz vor der Jahrhundertwende.
Systemfehler
Unternehmen, die in staatlich geschützten Märkten unterwegs sind, profitieren von einer Monopolrente. Die Briefpost ist dabei nur die bescheidene Spitze des Eisbergs. Und, falls diese Einnahmen nicht ausreichen, werden die Bürgerinnen und Bürger zusätzlich als Steuerzahlende zur Kasse gebeten.
Beispielhaft für diese Entwicklung steht der öffentliche Verkehr. Geht es nach dem Bundesrat, dann erhalten die Bahnunternehmen in den nächsten vier Jahren über 16 Milliarden Franken für den Unterhalt der Bahninfrastruktur. Darüber hinaus wird eine nächste Botschaft für den Bahnausbau in die Vernehmlassung geschickt. Dabei geht es um weitere 10 bis 15 Milliarden Franken. Anders als beispielsweise in der Landesverteidigung spielt Geld beim öffentlichen Verkehr keine Rolle.
Der Service public ist ein Fass ohne Boden. Effizienz (die Dinge richtig tun) und Effektivität (die richtigen Dinge tun) spielen dann eine untergeordnete Rolle, wenn nicht zufriedene Kunden, sondern die Politik die Einnahmen garantiert. Die Fehler liegen im System. Daran können auch die zahllosen Mitarbeitenden der öffentlichen Unternehmen nichts ändern, die tagtäglich einen tollen Job machen.
Weniger für alle
Dies alles trifft auch auf Bereiche der staatlichen Leistungserbringung zu, in denen private Akteure wenigstens am Spielfeldrand mitmachen dürfen, Politik und Verwaltung jedoch die entscheidenden Parameter definieren. Beispielsweise in der Gesundheitsversorgung. Bei Einführung des Krankenkassenobligatoriums im Jahre 1996 betrug die mittlere Prämie 128 Franken im Monat. Im Jahre 2023 zahlten die Versicherten 334 Franken. Mehr als zweieinhalbmal so viel. Im gleichen Zeitraum stiegen die Löhne im Durchschnitt um rund 30 Prozent.
Am 9. Juni stimmt die Schweizer Bevölkerung über die SP-Prämieninitiative ab. Bekämpft werden nicht die Ursachen der Kostenexplosion, sondern die Folgen der gescheiterten Politik. Einmal mehr wird in bester linker Tradition versucht, das von Dreifuss, Berset und Co. verursachte Feuer mit Benzin zu löschen.
Der Kaufkraftverlust der Bevölkerung ist kein Naturgesetz. Vielmehr ist dieser zu einem wichtigen Teil eine Folge des überbordenden öffentlichen Sektors. Planwirtschaftliche Rezepte haben noch nie funktioniert. Es gilt nicht, wie von den Sozialisten in allen Parteien behauptet, «Für alle statt für wenige». Vielmehr heisst es: «Weniger für alle».
Frontalangriff
Dumm nur, dass das Kerngeschäft vieler Monopolbetriebe durch den technologischen Fortschritt an Bedeutung verliert. Digitalisierung und Globalisierung stellen alle Branchen auf den Kopf. Für die Politik ist dies jedoch kein Grund, die Unternehmen des Service public den neuen Begebenheiten entsprechend zu verkleinern.
Stattdessen wird in neue Geschäftsfelder investiert, ausserhalb des Monopolbereichs und in direkter Konkurrenz zu privaten Anbietern. Dies zur Sicherung der eigenen Interessen und, wie die Wahl des ehemaligen SP-Präsidenten Christian Levrat zum VR-Präsidenten der Post dokumentiert, zu Gunsten der eigenen politischen Klientel.
In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Briefpost halbiert. Die Einzahlungen am Postschalter sind in den vergangenen drei Jahren um 60 Prozent zurückgegangen. Kompensiert wird dieser Niedergang durch den Verkauf von Büro- und Papeterieartikel, Handys, Geschenkkarten und Reisezubehör.
Neuerdings präsentiert sich die Post als Schutzpatronin der kleinen und mittleren Unternehmen. Zum Vorzugspreis angeboten wird eine Buchhaltungssoftware, inklusive Lohnbuchhaltung, Auftrags- und Kundenverwaltung. Frontal angegriffen werden alle privaten Unternehmen, die ihr Geld mit Unternehmenssoftware verdienen.
Fair ist anders
Die heutige Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR ist ein Kind der wirtschaftlichen Krisen und äusserer Bedrohungen der dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Als wichtiges Element der Geistigen Landesverteidigung prägten die gebührenfinanzierten Monopolmedien über Jahrzehnte die öffentliche Diskussion in der Schweiz.
Dies alles ist Geschichte. Heute braucht es dank digitaler Medien zur Verbreitung von Informationen keine staatlichen Sendeanstalten mehr. Eine Entwicklung, dies sich in keiner Art und Weise im Angebot der SRG SSR abbildet. Ganz im Gegenteil. Mit rund 7000 Mitarbeitenden, 17 Radio- und 7 Fernsehprogrammen sowie Webinhalten ist die SRG das grösste Medienhaus der Schweiz. Auf der Strecke bleiben private Anbieter, die nicht mit Zwangsgebühren rechnen können.
Die SBB gehört mit 3500 Gebäuden und 3800 Grundstücke zu den drei grössten Immobilienunternehmen der Schweiz. Der Flughafen Kloten ist nicht nur Verkehrsinfrastruktur, sondern seit Eröffnung von «The Circle» auch das grösste Einkaufszentrum der Schweiz. Mit derselben Konsequenz, mit der die Politik dem Einzelhandel in den Stadtzentren das Leben schwer macht, Parkplätze abbaut und restriktive Ladenöffnungszeiten durchsetzt, sichert sie die Privilegien der SBB und der Flughafenbetreiber. Doppelmoral als Geschäftsmodell.
Vergleichbar fragwürdig die BKW Energie AG, die mehrheitlich dem Kanton Bern gehört und mit dem Monopol der Stromversorgung im Kanton Bern Millionen verdient. Investiert wird die Monopolrente in den Kauf von privaten Unternehmen in den Bereichen Gebäudetechnik, Netzinfrastruktur und Engineering. Heute gehören weit über 200 Firmen in das Reich des Staatskonzerns. Sie alle treten gegen privat gehaltene Mitbewerber an, die zumindest in der Region Bern als Zwangskunden der BKW ihre eigene Konkurrenz finanzieren müssen. Der Gewerbeverband des Kantons Bern findet dafür die richtigen Worte: Fair ist anders.
Schöpferische Zerstörung
Bereits im 16. Jahrhundert bemerkte Machiavelli, dass der grösste Feind der neuen Ordnung ist, wer aus der alten seine Vorteile zog. Diese Feststellung passt perfekt zu den Fehlentwicklungen im Bereich des Service public. Die einzelnen Unternehmen leiten ihre bevorzugte Stellung aus politischen und technologischen Begebenheiten der Vergangenheit ab. Die damit verbundenen Privilegien werden verteidigt, ohne Rücksicht auf gesamtgesellschaftliche Verluste. Das Schweizer Radio und Fernsehen macht es vor.
Der Schaden, der mit dieser auf Besitzstandwahrung ausgerichteten Politik verursacht wird, geht weit über den Kaufkraftverlust der Bevölkerung und die unfaire Konkurrenzierung privater Unternehmen hinaus. Auf der Strecke bleiben die von Schumpeter mit dem Begriff der schöpferischen Zerstörung beschriebenen Erneuerungsprozesse.
Unternehmen, die unter Wettbewerbsbedingungen arbeiten, werden von gesellschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Veränderungen unmittelbar und verzugslos herausgefordert. Wer sich nicht bewegt, verliert und verschwindet vom Markt. Staatsunternehmen dagegen sind gekommen, um zu bleiben. Koste es, was es wolle.
Dieser Stillstand beschädigt die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Mit der Bildung, den elektronischen Medien, dem Gesundheitssektor und der Infrastruktur sind bei uns wichtige Wachstumsbranchen verstaatlicht und als Service public der privaten Initiative mehr oder weniger entzogen. Wir verlieren ausgerechnet in denjenigen Sektoren den Anschluss, die für unsere Zukunft entscheidend sind. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Der Service public gehört auf den Prüfstand.