Mehr gesunder Menschenverstand, weniger Politik
Mit staatlichen Regulierungen verhält es sich wie mit einer Suchterkrankung. Das Erhöhen der Dosis löst keine Probleme.
Dies gehört: Wir brauchen mehr Strom. Ich glaube, das ist eine Tatsache. Wir werden die Gebäude dekarbonisieren, den Verkehr und auch die Wirtschaft und das erfolgt im Wesentlichen mit Elektrizität. (Quelle: NR Kurt Egger, Radio SRF 1, Rendez-vous, 9.5.2022)
Das gedacht: Kurt Egger, der grüne Nationalrat aus dem Kanton Thurgau, bringt es auf den Punkt: Wir brauchen mehr Strom. Eine zwar späte, aber richtige Erkenntnis.
Der Ersatz der mit fossilem Brennstoff angetriebenen Autos durch Elektromobile, der Verzicht auf Gas als Energiequelle in der Industrie oder der Einsatz von Ölheizungen durch Wärmepumpen, dies alles ist ohne zusätzliche elektrische Energie nicht zu haben.
Dazu kommen die Herausforderungen der Digitalisierung. Handys, Tablets, Computer, das Surfen, und Streamen, die Vernetzung von Maschinen und Geräten verlangen nach immer mehr elektrischer Energie.
Die deutsche Bundesregierung geht davon aus, dass der Strombedarf Ende dieses Jahrzehnts knapp 20 Prozent höher sein wird als heute. Eine vom Staatsunternehmen Axpo zitierte Studie erwartet bis 2050 eine Verdoppelung der Nachfrage nach Strom.
Um dies alles zu verstehen, braucht es weder visionäre Kräfte noch besondere Fachkenntnisse. Etwas gesunder Menschenverstand genügt. Stellvertretend für all die Realisten die kritischen Bemerkungen der IHK St.Gallen-Appenzell zum Ausstieg aus der Kernenergie und zur Energiestrategie 2050 im Jahre 2017: «Auch wenn die Energieeffizienz weiter steigen sollte, brauchen der Ersatz fossiler Brenn- und Treibstoffe, die Digitalisierung und Automatisierung mehr Strom, nicht weniger.»
Nur, der gesunde Menschenverstand hatte in der Volksabstimmung keine Chance. Der Bundesrat und die grosse Mehrheit des Parlaments setzten sich mit ihren grossartigen Luftschlössern durch. Der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person sollte gemäss der Energiestrategie 2050 bis ins Jahr 2035 um 43 Prozent, der Stromverbrauch im gleichen Zeitraum um 13 Prozent gesenkt werden. Ziemlich exakt das Gegenteil von allem, was heute selbst grüne Nationalräte feststellen.
Wie ist es nun aber möglich, dass ein derartiger Unsinn mehrheitsfähig wird? Sind wir von allen guten Geistern verlassen? Wohl kaum. Dieser Fehlentscheid folgte vielmehr wie so viele andere den Gesetzmässigkeiten des politischen Wettbewerbs. Und dies gleich in fünffacher Hinsicht:
Erstens: Opportunismus
Die Politik hängt ihre Fahnen nach dem Wind. Nach Fukushima war der Atomausstieg angesagt. Rationale Überlegungen hatten keine Chance mehr.
Zweitens: Machtmotivation
Wahlen gewinnt man nicht mit unangenehmen Wahrheiten, sondern mit wohlklingenden Versprechen und Wahlgeschenken zugunsten der eigenen Wählerschaft.
Drittens: Verantwortungslosigkeit
Politische Fehlentscheidungen haben keine Konsequenzen. Der Besitzstand des politischen Personals ist garantiert, selbst bei vollständigem Versagen.
Viertens: Veröffentlichte Meinung
Die grossen Medienunternehmen stehen auf der Seite der Mächtigen. Etablierte Journalisten definieren sich über ihre Nähe zur politischen Prominenz.
Fünftens: Gefälligkeitsgutachten
Für jedes politisch erwünschte Ergebnis findet sich ein Expertenbüro, das mit angeblich wissenschaftlicher Expertise das passende Resultat liefert.
Nun wird man mir zu Recht entgegenhalten, dass dies alles nicht neu ist. Bereits Machiavelli trennte im 15. Jahrhundert das Politische von moralischen Grundsätzen und setzte die Fragen des Machterhalts in den Mittelpunkt seiner Überlegungen.
Was sich jedoch verändert hat, ist das Ausmass der staatlichen Macht- und Prachtentfaltung. Der moderne Staat verfügt über Kompetenzen und Ressourcen, von denen die Monarchen des Absolutismus nur hätten träumen können.
Rund die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts wird durch den Staat oder nach staatlichen Vorgaben ausgegeben. Und damit entsprechend den Gesetzmässigkeiten der Politik. Die Verpolitisierung sämtlicher Lebensbereiche ist nicht die Lösung, sondern das Problem.
Dies mit unübersehbaren Konsequenzen. Die grossen Aufgaben werden nicht gelöst, sondern der Logik des Politischen folgend in die Zukunft verschoben. Après moi le déluge. Der Reformstau ist allgegenwärtig. In der Altersvorsorge, der Gesundheitspolitik, dem Service public, in unserem Verhältnis zur EU aber auch in institutionellen Fragen wie der Konkordanz, der Gemeindeautonomie, dem Föderalismus oder der Sozialpartnerschaft.
Mit staatlichen Regulierungen verhält es sich wie mit einer Suchterkrankung. Das Erhöhen der Dosis löst keine Probleme. Im Gegenteil. Die Not verschlimmert sich. Deshalb führt kein Weg an einem Entzug vorbei. Unsere Gesellschaft braucht weniger Politik und mehr gesunden Menschenverstand. Nicht nur in der Energiewende.