Mehr Eigenverantwortung – weniger Politik
Es liegt in der Natur von politischen Entscheidungsprozessen, dass alle und damit letztlich niemand verantwortlich ist. Das Primat der Politik ist das Primat der institutionalisierten Verantwortungslosigkeit.
Dies gehört: «Politik handelt von Verantwortungsbereitschaft und der Übernahme von Verantwortung.» (Quelle: Robert Habeck in Talkshow Markus Lanz, 14.7.2021)
Das gedacht: Für einmal ein Zitat aus Deutschland. Allerdings, vergleichbare Aussagen gehören zum Standardrepertoire von Politikerinnen und Politikern auf der ganzen Welt. Auch in der Schweiz. Immer wieder erzählt man uns die Geschichte von der unglaublichen Verantwortung, die politische Ämter und staatliche Würden mit sich bringen.
Wer echte Verantwortung übernimmt, entscheidet nicht nur, sondern steht darüber hinaus mit seiner Person für die Folgen seiner Entscheidungen ein. Insbesondere auch dann, wenn sich diese als falsch erweisen.
Nicht so die Politik. Fehlentscheidungen haben keine persönlichen Konsequenzen. Die Einkommen der Mitglieder von Behörden und Parlamenten sind garantiert, erfolgsunabhängig. Eine gescheiterte Spitalpolitik, überschuldete Sozialwerke, fehlgeschlagene Informatikprojekte, der Postautoskandal, unterfinanzierte öffentliche Pensionskassen, die ungenügende Pandemievorsorge, fehlende Betten in den Intensivstationen, dies alles bleibt für die politisch «Verantwortlichen» ohne Folgen.
Wie Nassim Nicholas Taleb treffend formuliert, haben heute zu viele Menschen Macht und Einfluss, die nicht wirklich den Kopf hinhalten müssen, für das, was sie tun und veranlassen. Intellektuellen, Journalisten, Bürokraten, Bankern wirft Taleb vor, kein «Skin in the Game» zu haben. Wenn sie sich irren, müssen sie keinen Preis für ihre schlechte Entscheidung bezahlen. Wer nicht bereit ist, die eigene Haut zu riskieren, so Taleb, sollte besser schweigen.
Nun werden die Postsozialisten in allen Parteien dieser Forderung entgegenhalten, dass gerade diese Verantwortungslosigkeit oder – edler formuliert – die Unabhängigkeit des politischen Personals, die beste Voraussetzung für die Ausrichtung der Politik auf das Gemeinwohl ist.
Schön wär’s. Die Realität beweist das Gegenteil. Hochkonjunktur haben nicht selbstlose Idealisten, sondern professionelle Selbstdarsteller. Entscheidend ist die öffentliche Wahrnehmung der eigenen Person, der Auftritt in den nationalen Medien, die nächste Bundesratswahl.
Auf langfristige Herausforderungen reagiert man mit kurzfristigen Massnahmen. Einzelne Ereignisse diktieren die Agenda. So etwa beim überstürzten Ausstieg aus der Kernenergie im Jahre 2011. Entscheidend war die unmittelbare politische Rendite. Die Nationalratswahlen standen vor der Tür.
Es liegt in der Natur von politischen Entscheidungsprozessen, dass alle und damit letztlich niemand verantwortlich ist. Das Primat der Politik ist das Primat der institutionalisierten Verantwortungslosigkeit. Dies ist nicht neu. Neu ist jedoch das Ausmass. Der moderne Staat verfügt über Kompetenzen und Ressourcen, von denen die Monarchen des Absolutismus nur hätten träumen können.
Ohne ein Comeback der Eigenverantwortung wird es nicht gelingen, unsere Institutionen den Anforderungen und insbesondere der Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Wandels entsprechend zu verändern. Eigenverantwortung bedeutet, dass man selbst für die Folgen seiner Entscheidungen einsteht. Mit persönlichen Konsequenzen und nicht mit grossen Worten und Gesten. Und erst recht nicht mit dem Geld Dritter. Mehr Eigenverantwortung – weniger Politik. So lautet das Gebot der Stunde.
Bild: www.sg.ch