Nebelspalter Politik

Institutionelle Anbindung mit Nebenwirkungen: Der Fall der ETH-Studiengebühren

Dies gelesen: «Das neue Vertragspaket beschert manchen Hochschulen hohe Verluste.» (Quelle: Tages-Anzeiger, 1.11.2025)

Das gedacht: Langsam aber sicher lichtet sich der Nebel rund um das EU-Vertragspaket. Selbst im Tages-Anzeiger. Dies zeigt ein aktueller Artikel zu den finanziellen Konsequenzen der Übernahme von EU-Recht für unsere Hochschulen.

Allerdings beschreibt die Tagi-Journalistin nur die halbe Wahrheit. In Tat und Wahrheit geht es um mehr als um Franken und Rappen. Um dies zu verstehen, muss man die ganze Geschichte erzählen:

Top-Qualität zum Schnäppchenpreis

Die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich (ETH) und Lausanne (EPFL) gehören zu den besten Universitäten der Welt. Gemäss dem Ranking des Fachmagazins «Times Higher Education» ist die ETH Zürich die führende Hochschule Kontinentaleuropas. Angeführt wird die Liste von Universitäten in den USA und in Grossbritannien. Die Universitäten des EU-Raums folgen auf den hinteren Plätzen.

Finanziert wird der ETH-Bereich in erster Linie durch die Steuerzahler. Gemäss dem Finanzbericht des ETH-Rats gab es im Jahre 2024 über die Trägerfinanzierung und Forschungsbeiträge rund 3200 Mio. Franken aus der Bundeskasse.

Vergleichsweise bescheiden waren dagegen die Einnahmen aus Studiengebühren und der Weiterbildung: 61 Mio. Franken. Dies bei Studiengebühren von 1460 Franken pro Jahr. Die ETH Zürich und die EPFL Lausanne liefern ihren Kunden Top-Qualität zum Schnäppchenpreis.

Von Bildungsausländern überrannt

Nirgendwo auf der Welt gibt es für so wenig Geld so viel Bildungsqualität. Die US-Eliteunis beispielsweise verlangen 50’000 bis 60’000 Franken pro Jahr.

Dass angesichts dieser Ausgangslage die beiden Hochschulen von Ausländern überrannt werden, überrascht nicht:

  • An der ETH Zürich kamen im Jahre 2000 16 Prozent der Studentinnen und Studenten aus dem Ausland. Heute sind es 40 Prozent.
  • In Lausanne stieg der Anteil von 28 auf 60 Prozent. Die überwiegende Mehrheit kommt aus Frankreich.

Höhere Studiengebühren für Ausländer

In der Zwischenzeit hat der Spardruck auch bei den Beratungen zu den Bundesbeiträgen für den ETH-Bereich seine Spuren hinterlassen. Am 12. September 2024 folgte der Ständerat dem Nationalrat und entschied, dass ETH-Studenten aus dem Ausland künftig dreimal höhere Studiengebühren bezahlen müssen.

Auf das Herbstsemester 2025 wurden die Studiengebühren für Ausländer an der ETH Zürich und der EPFL Lausanne verdreifacht. Sie betragen neu 4380 Franken pro Jahr.

Für viele eine Selbstverständlichkeit. Auch für die Studenten aus dem Ausland. Die Erhöhung der Studiengebühren hat zu keinem Rückgang an Anmeldungen geführt.

Brüssel diktiert

Das Schweizer Parlament hat allerdings die Rechnung ohne den Wirt in Brüssel gemacht. Gleichzeitig mit den Diskussionen im Bundesparlament zogen die Verhandlungsdelegationen zum EU-Vertragspaket den differenzierten Studiengebühren den Stecker.

Geht es nach dem am 20.12.24 verabschiedeten EU-Vertragspaket, dann muss die Schweiz künftig bei EU-Bürgern den Nichtdiskriminierungsansatz anwenden. Unterschiedliche Studiengebühren werden von der EU-Bürokraten nicht akzeptiert.

Gemäss dem Staatsekretariat für Bildung, Forschung und Innovation fehlen damit dem ETH-Bereich rund 23 Millionen Franken. Bezahlt werden müssen diese von den Studentinnen und Studenten aus dem Inland oder vom Schweizer Steuerzahler.

Worum es beim EU-Vertragspaket geht

Offensichtlich braucht es das seltsame Gleichheitsverständnis von EU-Funktionären um zu verstehen, dass differenzierte Studiengebühren an hochsubventionierten Hochschulen etwas mit Diskriminierung zu tun haben.

Immerhin, etwas Gutes hat die ganze Angelegenheit. Sie zeigt, worum es bei der institutionellen Anbindung an die EU wirklich geht:

  1. Die Verlagerung der Entscheidungsmacht von Bern nach Brüssel

Die Diskussionen und Entscheidungen im Schweizer Parlament zu den Studiengebühren von Ausländern waren nicht mehr als eine Luftnummer. Die Musik spielt in Brüssel.

  1. Die Verlagerung der Entscheidungsmacht vom Parlament an die Verwaltung

Entscheidende Fragen werden nicht mehr von gewählten Volksvertretern, sondern in der Logik der EU-Kommission von Verwaltungsangestellten entschieden.

  1. Die Verlagerung der Entscheidungsmacht von der Öffentlichkeit in die Sitzungszimmer.

Die Diskussionen zur Anpassung der Studiengebühren in der Schweiz wurden von einer intensiven, fair geführten medialen Diskussion begleitet. Ganz anders der Entscheid in Brüssel. Dieser fiel hinter verschlossenen Türen.

Ein Schaden, der nicht zu reparieren ist

Wirklich bedenklich ist aber nicht nur die angedachte Entmachtung der Schweizer Politik und des Schweizer Volkes. Nicht weniger ärgerlich ist die Dreistigkeit, mit der uns Bundesrat und grosse Teile der Befürworter des EU-Vertragspakets weiss machen wollen, dass sich mit der institutionellen Anbindung an die EU im Grunde genommen nichts ändert.

Das Beispiel der Studiengebühren für Ausländer beweist das Gegenteil. Wer diese Tatsache leugnet, verspielt das Fundamt jeder funktionierenden Demokratie: Das Vertrauen in die Behörden und in die Institutionen. Ein Schaden, der nicht zu reparieren ist.

Erstpublikation am 4.11.2025 auf www.nebelspalter.ch

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Am Ende helfen nur leere Kassen: Der Abschied vom Regulierungswahn

Dies gelesen: «Neue Regeln für die Innenstadt: Das gilt für Gartenbeizen und Läden» (Quelle: Tagblatt, Stadtticker, 20.8.2025)

Das gedacht: Ein neuer Leitfaden der Stadt St.Gallen erklärt den Restaurantbetreibern, «wie Einrichtungen auf öffentlichem Grund für die Aussengastronomie platziert werden dürfen».

Dies im Zusammenhang mit durchaus positiven Nachrichten. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Strassencafés in der Stadt St.Gallen mehr als verdoppelt. Vieles, was früher verboten war, ist heute erlaubt. Dies gilt auch für die Ausstattung der Restaurants.

Ordnung muss sein

Allerdings, ganz so einfach ist die Sache nicht. Wer als Gastronom im Sommer seine Gäste auf der Strasse bedienen will, braucht nicht nur eine Bewilligung der Polizei, sondern zusätzlich eine Baubewilligung. Ordnung muss sein.

Dazu gehört beispielsweise, dass der Abstand zwischen zwei Kübelpflanzen mindestens 2 Meter betragen muss. Oder, dass nur eine dezent wirkende Beleuchtung mit warmweissem Licht zulässig ist. Nicht erlaubt sind Bartheken aus Scheiterbeigen und Schwartenbrettern sowie Loungemöbel und Wärmestrahler.

Overkill an gesetzlichen Grundlagen

Über Sinn oder Unsinn der einzelnen Vorschriften kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Der ganz normale Wahnsinn liegt denn auch nicht in den Massnahmen an sich als vielmehr im Overkill an gesetzlichen Grundlagen.

 Um dies zu verstehen, genügt ein Blick in die gesetzlichen Bestimmungen, die bei der Bewilligung eines Strassencafés berücksichtigt werden müssen:

  • Schweizerisches Umweltschutzgesetz (USG)
  • Schweizer Lärmschutzverordnung (LSV)
  • Behindertengleichgestellungsgesetz (BehiG)
  • Verkehrsregelverordnung (VRV, Art. 41)
  • Kantonales Strassengesetz (StrG – sGS 732.1, Art. 17 und 21)
  • Kantonales Planungs- und Baugesetz (PBG – sGS 731.1)
  • Städtisches Immissionsschutzreglement (ISR – SRS 751.1)
  • Städtische Bauordnung (BO – SRS 731.1)
  • Städtisches Reklamereglement (SRS 731.2.)
  • Städtische Gebührentarife der Stadtpolizei (SRS 412.112)

Dazu kommen rechtsverbindliche Normen, die von privaten Organisationen wie dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA erlassen werden, sogenanntes Soft Law:

  • Schweizer Norm SN/SIA 500 «Hindernisfreie Bauten»
  • Schweizer Norm SN 640.070 «Fussgängerverkehr, Grundnorm»
  • Schweizer Norm SN/VSS 640.075 «Fussgängerverkehr, Hindernisfreier Verkehrsraum»
  • Richtlinien «Behindertengerechte Fusswegnetze», Fachstelle Hindernisfreie Architektur

Mit anderen Worten, um 2 Kübelpflanzen, 4 Tische und 8 Stühle auf die Strasse zu stellen, braucht es 10 Gesetze und 4 Regelwerke von privaten Vereinen.

Dieses Dickicht an gesetzlichen Vorschriften erklärt, weshalb es heute selbst für banale staatliche Handlungen einen Hochschulabschluss braucht. Die Akademisierung der Staatsverwaltung hat nichts mit den zu erledigenden Aufgaben zu tun. Vielmehr ist diese eine direkte Folge der Überregulierung. Der gesunde Menschenverstand hat keine Chance.

Gesetzgebungsmaschine läuft auf Hochtouren

Dass die überbordende Bürokratie jede Eigeninitiative beschädigt und den Staatshaushalt ruiniert, hat in der Zwischenzeit jedes Kind begriffen. Selbst die EU-Kommission hat neue Vorschläge für weniger Bürokratie und einfachere Vorschriften für Unternehmen angenommen. Dies mit dem Ziel, die EU-Wirtschaft wohlhabender und wettbewerbsfähiger zu machen

Auch Bundesbern beschäftigt sich regelmässig mit dem Kampf gegen die Bürokratie. Dazu gehört eine eigene ausserparlamentarische Kommission. Das KMU-Forum verabschiedet Massnahmen zur Reduktion der administrativen Belastung der Unternehmen.

Mit zweifelhaftem Erfolg. Die Gesetzgebungsmaschine läuft auf Hochtouren. Das Schweizer Landesrecht umfasste im Jahre 2020 über 37’000 Seiten. Eine Zunahme von 46 Prozent innerhalb von 16 Jahren.

Das Parlament hat deshalb zur Senkung der Regulierungskosten ein weiteres Gesetz nachgelegt, das Unternehmensentlastungsgesetz. Dieses setzt auf verwaltungsinterne Prüfpflichten, eine Regulierungskostenabschätzung, ein Monitoring, Bereichsstudien und eine regelmässige Berichterstattung durch den Bundesrat.

Wer abnehmen will, muss weniger essen

Nur, machen wir uns nichts vor. Jeder Versuch, die überbordende Bürokratie mit zusätzlichen Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien und Checklisten in den Griff zu bekommen, ist zum Scheitern verurteilt. Auch dieses Feuer lässt sich nicht mit Benzin löschen.

Wer abnehmen will, muss weniger essen. So einfach ist es. Dies gilt auch für unsere Gemeinwesen. Erst wenn das Geld ausgeht, werden sich Politik und Verwaltung von ihrem Regulierungswahn verabschieden.

Die leeren Kassen im Bund und in vielen Kantonen und Gemeinden sind ein Glücksfall. Strukturelle Defizite zwingen uns, den Gürtel enger zu schnallen, die Bürokratie abzubauen und die Staatstätigkeit auf das Notwendige zu beschränken.

Gelingt dies nicht, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch bei uns Kettensägen zum Thema werden. Spätestens dann wird es niemanden mehr interessieren, welcher Abstand zwischen zwei Kübelpflanzen den Vorstellungen der Verwaltung gerecht wird.

Erstpublikation am 21.10.2025 auf www.nebelspalter.ch

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Economiesuisse: Wenn die direkte Demokratie zur Nebensache wird

Dies gelesen: «Die innerstaatlichen Genehmigungsverfahren sind vorbehalten und entsprechende Fristen sind garantiert (…). Damit bleiben sämtliche verfassungsrechtlichen Erfordernisse der Schweiz gewahrt, inklusive die Volksrechte. (Quelle: economiesuisse, Vernehmlassung Paket Schweiz-EU)

Das gedacht: Der Vorstand von economiesuisse unterstützt das EU-Vertragspaket. Ohne Wenn und Aber. Besonders angetan ist man von der dynamischen Rechtsübernahme. Diese, so economiesuisse, liegt im wirtschaftlichen Interesse der Schweiz.

Nicht angesprochen wird in der Vernehmlassung von economiesuisse das Spannungsfeld von dynamischer Rechtsübernahme und direkter Demokratie. Man begnügt sich mit der Feststellung, dass die verfassungsrechtlichen Erfordernisse gewahrt bleiben. Eine Verkürzung der direkten Demokratie auf den Abstimmungssonntag, die jedes Verständnis für das politische System der Schweiz vermissen lässt.

Zwangsheirat statt Liebesbeziehung

Wer sich allerdings mit der Geschichte der Volksrechte befasst, den kann das fehlende Verständnis von economiesuisse für den politischen Sonderfall Schweiz nicht wirklich überraschen. Seit jeher gleicht das Verhältnis der Spitzenverbände der Wirtschaft zur direkten Demokratie mehr einer Zwangsheirat als einer Liebesbeziehung:

  • Die Einführung des fakultativen Gesetzesreferendums im Jahre 1874 richtete sich gegen das «System Escher». Alfred Escher, visionärer Wegbereiter der modernen Schweiz, dreifacher Nationalratspräsident, Eisenbahnpionier und Gründer der ETH, der Schweizerischen Kreditanstalt und der Rentenanstalt verkörperte wie kein anderer im jungen Bundesstaat die wirtschaftliche und politische Machtkonzentration in den Händen einer freisinnig-liberalen Elite. Dagegen setzte sich die direktdemokratische Bewegung zur Wehr.
  • Dem eigenen Selbstverständnis entsprechend vertraute der Vorort, der 1870 gegründete Spitzenverband von Industrie und Handel, auf Absprachen hinter verschlossenen Türen. Der Vorort-Direktor verstand sich als achter Bundesrat. Die direktdemokratische Auseinandersetzung überliess man mit vornehmer Zurückhaltung den Bodentruppen von Gewerkschaften und Gewerbeverband.
  • Trotz veränderter politischer Rahmenbedingungen hat sich bis heute daran nichts geändert. Economiesuisse, die Nachfolgeorganisation des Vororts, hat noch nie eine eigene Volksinitiative oder ein eigenes Referendum lanciert. Economiesuisse und der Schweizerische Arbeitgeberverband sind nicht referendumsfähig.
  • Verstärkt wird die Distanz der Konzernwirtschaft zur direkten Demokratie durch die Tatsache, dass die Hälfte der Geschäftsleitungsmitglieder der 100 grössten Arbeitgeber keinen Schweizer Pass Für viele ausländische Konzernmanager ist das politische System der Schweiz mit seinen Initiativen und Referenden, mit dem Föderalismus und dem Milizsystem in Politik und Armee ein Buch mit sieben Siegeln.

Einzigartige Stabilität

Für economiesuisse ist die direkte Demokratie bestenfalls Nebensache. Eine Haltung, die der besonderen Bedeutung des politischen Systems für den wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz nicht gerecht wird:

  • Die direkte Demokratie zwingt die Politik zu einer umfassenden Beteiligung aller relevanten politischen Akteure. Dazu gehört die Vielparteienregierung. Brandmauern als Mittel des Machterhalts funktionieren nicht.
  • Das Initiativrecht durchbricht das Anbieter-Monopol der etablierten Parteien und ermöglicht, im parlamentarischen Prozess nicht berücksichtigte Anliegen und insbesondere neue Themen frühzeitig auf die politische Agenda zu setzen.
  • Referenden garantieren, dass umstrittene Gesetzesvorlagen von der Mehrheit des Stimmvolks getragen werden. Bei uns gibt es keinen Green Deal und kein Heizungsgesetz, das gegen die Mehrheit der Bevölkerung verabschiedet werden kann.

Die Konsensorientierung ist eine unmittelbare Folge der direkten Demokratie. Der breit abgestützte Kompromiss macht den Unterschied und erklärt nicht nur die einzigartige Stabilität des politischen Systems, sondern auch die mit dieser Stabilität verbundene Attraktivität der Schweiz als Unternehmensstandort.

Schmerzliche Niederlagen

In der jüngeren Vergangenheit musste die Wirtschaft an der Urne zahlreiche schmerzliche Niederlagen akzeptieren. Erinnert sei etwa an die Reform der beruflichen Vorsorge, die Vorlage für den Autobahnausbau oder die 13. AHV-Rente. Selbst der extremen Konzernverantwortungsinitiative stimmten 50,7 Prozent des Stimmvolkes zu.

Economiesuisse, der Schweizerische Arbeitgeberverband und zunehmend auch der Gewerbeverband dringen mit ihren Argumenten nicht mehr bis zu den Stimmbürgern durch. Viele sprechen von Entfremdung.

Eine Fehlentwicklung, die sich im Zusammenhang mit dem EU-Vertragspaket zu wiederholen droht. Ein economiesuisse-Vorstand, der die institutionelle Anbindung der Schweiz an die EU mit 69 JA und nur einer Gegenstimme durchwinkt, hat nicht nur den Kontakt mit der Bevölkerung, sondern auch die Nähe zu vielen Unternehmen verloren.

Und damit sind wir wieder bei Alfred Escher. Dieser stand am Ende seiner glanzvollen Karriere isoliert und ohne politischen Einfluss da.

Seit jeher gilt, dass man die Schweiz nicht von oben herab regieren kann. Eine Erfahrung, die uns von allen unseren Nachbarländern und der EU unterscheidet.

Die dynamische Übernahme von EU-Recht und die Stellung des EU-Gerichtshofs im Streitfall stehen im Widerspruch zur politischen Kultur der Schweiz. Auf der Strecke bleiben der politische Sonderfall und die damit verbundene Standortattraktivität. Eine Entwicklung, an der weder die «economie» noch die «suisse» interessiert sein können.

Erstpublikation am 7.10.2025 auf www.nebelspalter.ch

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Asylkosten: Das grosse Versteckspiel des Bundesrates  

Dies gelesen: Eine Gesamt- resp. Vollkostenrechnung des Asylbereichs aller drei Staatsebenen (Bund, Kantone und Gemeinden) existiert in der Schweiz nicht. (Quelle: Postulat Knutti, Stellungnahme des Bundesrates)

Das gedacht: Die Forderung nach Transparenz gehört zu den Dauerbrennern linker Politik. Argumentiert wird mit der Stärkung der direkten Demokratie und dem Vertrauen in die Politik. So etwa die Urheber der 2017 eingereichten Transparenz-Initiative.

Das Bedürfnis nach Transparenz schmilzt dann allerdings wie Schnee an der Sonne, wenn das zu erwartende Ergebnis Bundesbern gegen den Strich geht. Beispielweise bei den finanziellen Konsequenzen der Asylmigration.

Die halbe Wahrheit

In diesem Jahr rechnet der Bund mit Ausgaben für das Asylwesen von rund 4 Milliarden Franken. Die offiziell ausgewiesenen Kosten stellen allerdings nur die halbe Wahrheit dar.

Was in dieser Zahl fehlt, sind alle Kosten der Asylmigration in den Kantonen und in den Gemeinden, die nicht vom Bund bezahlt werden:

  1. Dies gilt insbesondere für die Sozialhilfe. Etwa 80 Prozent der anerkannten Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen beziehen Sozialhilfe. Der Bund überweist für sie während fünf respektive sieben Jahren eine Sozialhilfepauschale. Anschliessend werden die Kantone und die Gemeinden zur Kasse gebeten. 2023 rechnete Martina Bircher vor, dass die Gemeinde Aarburg für ihre 170 Asylbewerber im Durschnitt 15’000 Franken Sozialhilfe pro Kopf und Jahr bezahlen musste. Multipliziert man diesen Betrag mit der Zahl der schweizweit von der Sozialhilfe abhängigen Asylbewerbern und vorläufig Aufgenommenen, dann kommt man auf Ausgaben in Milliardenhöhe.
  2. Dazu kommen ungedeckte Zusatzkosten in den Schulen, in der Integration und der Betreuung. Minderjährige Kinder von Asylbewerbern haben oft einen besonderen Förder- und Bildungsbedarf. Es braucht Sonderschulen, die Sonderpädagogik, integrative Modelle und Spezialklassen.
  3. Weiter geht es mit den Kosten für das Justizwesen. Im Jahre 2024 gingen beim Bundesverwaltungsgericht insgesamt 8198 neue Fälle ein. Zwei Drittel (5349) davon betrafen Asylverfahren.
  4. Belastet werden aber auch die Polizei und die Strafverfolgungsbehörden. Gemäss der aktuellen Kriminalstatistik sind Asylmigranten und vor allem Ausländer ohne ständigen Wohnsitz in der Schweiz für ein Viertel der Straftaten verantwortlich.
  5. Zusatzkosten entstehen darüber hinaus im Gesundheitswesen sowie in der allgemeinen Verwaltung. Dolmetscher, Juristen, Sprachlehrer und Coaches unterstützen Asylmigranten bei der Wahrung ihrer Interessen und beim Erlernen von Alltagskompetenzen.

Kunst der faulen Ausrede

In seiner Stellungnahme zum Postulat Knutti machte der Bundesrat geltend, dass es mit Blick auf die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen und die Vielzahl von involvierten Akteuren nicht möglich ist, die «gesamten Kosten des Asylbereichs im Sinne einer Vollkostenrechnung aufzuführen».

Eine Argumentation, die sehr viel mit der Kunst der faulen Ausrede und wenig mit dem Werkzeugkasten der Behörden zu tun hat:

  • Wenn um das EU-Vertragspaket geht, können der Bundesrat, die Bundesverwaltung und die von ihnen beauftragten Berater in die Zukunft blicken. Sie rechnen uns vor, dass bei einem Wegfall der Binnenmarktabkommen und der EU-Forschungsprogramme die Löhne der Niedrig- und Mittelqualifizierten Jahre 2045 (!) 08 Prozent tiefer liegen. Nicht mehr und auch nicht weniger.
  • Ganz anders sieht es aus, wenn nicht das Orakel von Delphi gefragt ist, sondern der nüchterne Blick in die Gegenwart. Dann geht plötzlich nichts mehr. Dabei wird unterschlagen, dass die Kosten für die Asylmigration, die in den einzelnen Gemeinwesen und Institutionen anfallen, alles andere als eine Blackbox
  • Was jedoch fehlt, ist der Wille, diese Kosten in einer Studie zusammenzufassen und wissenschaftlich aufzuarbeiten. Aus einem einfachen Grund: Bundesbern fürchtet das Resultat.

Ehrliches Preisschild

Das asylpolitische Versteckspiel des Bundesrates ist mehr als ein finanzpolitisches Problem. Es missachtet die Spielregeln einer funktionierenden Demokratie.

Voraussetzung einer korrekten politischen Willensbildung ist die verständliche, unverfälschte und umfassende Darlegung aller relevanten Fakten. Dazu gehört ein ehrliches Preisschild.

Dies gilt ganz besonders in einer direkten Demokratie, in der in entscheidenden Sachfragen das Volk und nicht Berufspolitiker das letzte Wort haben.

Behörden, die ihren Informationsauftrag im Sinne der eigenen politischen Agenda interpretieren, verhalten sich unfair. In einem Fussballspiel wäre dies ein Fall für die rote Karte.

Erstpublikation am 23.9..2025 auf www.nebelspalter.ch

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Braucht die Schweiz einen politischen Kulturwandel?

Dies gelesen: «Cottier fordert einen Kulturwandel.» (Quelle: NZZ, 17.3.2025)

Das gedacht: ». Thomas Cottier lehrte als Professor für Europarecht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Bern. Zudem war er Mitglied oder Vorsitzender mehrerer GATT- und WTO-Gremien und in internationalen Schiedsgerichten.

Als Präsident der europafreundlichen Vereinigung «Die Schweiz in Europa» und als einer der Wortführer der gescheiterten Europainitiative darf man ihn wohl getrost als «EU-Turbo» bezeichnen.

Waffengleichheit der besonderen Art

Wenig überraschend unterstützt Cottier das EU-Vertragspaket. Besonders angetan hat es ihm das Ad-hoc-Schiedsgericht, das im Streitfall zwischen der Schweiz und der EU eingesetzt wird. «Es wird Waffengleichheit geschaffen, obwohl die EU die stärkere Partnerin ist», so Cottier

Überraschender dagegen ist, dass im NZZ-Artikel die Bedeutung des Europäischen Gerichtshofs für das Schiedsverfahren nicht thematisiert wird:

  • Betrifft eine Streitfrage einen Begriff aus dem EU-Binnenmarktrecht, legt das Schiedsgericht diese dem EuGH zur Auslegung vor. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der sich selbst als Motor der europäischen Integration versteht, ist für das Schiedsgericht und damit für die Schweiz verbindlich. Das Gericht der Gegenpartei. Eine Waffengleichheit der besonderen Art.

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Weshalb das politische System den Sonderfall Schweiz ausmacht – und weshalb wir gut daran tun, dafür Sorge zu tragen.

Dies gelesen: «Sonderfall Schweiz – 734 Jahre sind genug.» (Quelle: WOZ, 7.8.2025)

Das gedacht: Es ist wieder einmal soweit. Die reaktionäre Linke erklärt das Ende des Sonderfalls Schweiz. Konkreter Anlass dazu bietet dem WOZ-Redaktor der Zollhammer von Trump.

Bedient werden im Artikel von Kaspar Surber die üblichen Klischees aus den 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts:

  • Der Sonderfall wird mit der Vorstellung «von einer schicksalhaften, gottgewollten Auserwähltheit seit 1291» in Verbindung gebracht.
  • Diesem Bild wird eine Schweiz gegenübergestellt, die vom Sklavenhandel und von kolonialer Ausbeutung profitierte und von Grossbanken, die das rassistische südafrikanische Appartheimregime stützten.

Einseitiger geht es nicht. Jeder halbwegs gebildete Mensch weiss, dass die Schweiz seit jeher mit der ganzen Welt verbunden ist. Ein Beispiel dafür ist St.Gallen, die Heimatstadt des WOZ-Autors.

  • Im 9. und 10. Jahrhundert war das Kloster St.Gallen eines der kulturellen Zentren des deutschsprachigen Raums.
  • Ab dem 15. Jahrhundert verkauften St.Galler Leinwandhändler ihre hochwertigen Produkte in ganz Europa.
  • In der zweiten Hälfte des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts eroberte die St.Galler Stickerei die Welt. Die wichtigsten Exportländer waren Frankreich und die USA.

Die Schweiz hat nie als einsame Insel funktioniert. Schon immer verdienten wir unseren Wohlstand im engen Austausch mit unseren Nachbarländern und der weiten Welt. Gemäss dem KOF Globalisierungsindex gehört die Schweiz heute zu den am stärksten globalisierten Ländern. Dabei versteht sich von selbst, dass es in dieser jahrhundertelangen Geschichte auch dunkle Kapitel gibt.

Die Alleinstellungsmerkmale

Nur, darum geht es nicht. Nicht die weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen mit all ihren Sonnen- und Schattenseiten, sondern das politische System macht den Sonderfall Schweiz aus.

Um dies zu verstehen, genügt ein Blick auf die offizielle Bezeichnung unseres Bundesstaates: Schweizerische Eidgenossenschaft. Der «Eid» und die «Genossenschaft» sind die ursprünglichen Alleinstellungsmerkmale unserer Gemeinwesen.

  1. Der Eid. Als höchste Form der Selbstverpflichtung eines Menschen stand der gemeinsame Schwur der alten Eidgenossen im Gegensatz zum Untertaneneid feudaler Herrschaften. Der Treueschwur galt den Miteidgenossen und nicht einem Herrscher. Angesprochen ist mit der paritätisch-horizontalen Bindung das Prinzip der gegenseitigen Selbsthilfe.
  2. Die Genossenschaft. Dem Genossenschaftsgedanken entsprechend war die alte Eidgenossenschaft als eine Verbindung von unterschiedlichen, aber gleichberechtigten Stadt- und Länderorten organisiert. Voraussetzung und Zielsetzung der Mitgliedschaft in der Eidgenossenschaft war nicht die Angleichung der politischen Systeme der einzelnen Orte. Der Respekt vor den unterschiedlichen Verfassungsstrukturen und der Verzicht auf eine starke Zentralgewalt machten das Besondere der Eidgenossenschaft aus.

Von unten nach oben

Mit dem Bundesstaat von 1848 gelang es, wesentliche Elemente der alten Eidgenossenschaft in das industrielle Zeitalter zu überführen. Die neue Bundesverfassung war kein Bruch mit der Vergangenheit.

  • Durch den Fortbestand der eidgenössischen Orte als eigenständige Kantone und ein Parlament mit zwei gleichberechtigten Kammern verbanden die Verfassungsgeber das nationale mit dem föderalistischen Prinzip.
  • Verstärkt wurde diese Kontinuität mit der Einführung der direkten Demokratie im Jahre 1874. Nun hatte das Volk auch bei Sachentscheiden das letzte Wort.

Die alte Eidgenossenschaft und den Bundesstaat von 1848 verbindet das genossenschaftliche Staatsverständnis. Unsere Gemeinwesen sind von unten nach oben aufgebaut. Dieses staatspolitische Organisationsprinzip unterscheidet die Schweiz fundamental von allen ihren Nachbarländern und macht den Sonderfall aus.

Entwaffnende Ehrlichkeit

Immerhin, in einem Punkt hat der WOZ-Autor Respekt verdient. Mit entwaffnender Ehrlichkeit spricht er an, was es braucht, um den Sonderfall Schweiz zu entsorgen: «Die vordringliche Reaktion auf den Zollstreit ist (…) der Abschluss der Bilateralen III.»

  • Ganz anders der Bundesrat und die bürgerlichen Befürworter des EU-Vertragspakets, die ohne rot zu werden behaupten, dass sich mit der institutionellen Anbindung der Schweiz an die EU im Grunde genommen nichts ändert.
  • Das Gegenteil ist richtig. Mit der Übernahme von EU-Recht und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verabschieden wir uns vom politischen Sonderfall Schweiz. Die Macht verlagert sich in Richtung von Verwaltung und Gerichten. Auf der Strecke bleiben zu einem wichtigen Teil die direkte Demokratie, der Föderalismus und das Milizsystem.

Die Eidgenossenschaft hat Zukunft

Mit der Annahme des EU-Vertragspakets verabschieden wir uns nicht nur vom Sonderfall, sondern riskieren gleichzeitig das Erfolgsmodell Schweiz.

Denn eines ist offensichtlich. Der Schweiz geht es besser als ihren Nachbarstaaten. Die Menschen sind wohlhabender, die Regierungen stabiler, der Staat weit weniger verschuldet, die politische Auseinandersetzung entspannter.

In dieser Erfolgsgeschichte kommt den institutionellen Besonderheiten der Schweiz entscheidende Bedeutung zu:

  • Dank der direkten Demokratie und der Autonomie der Kantone und Gemeinden funktionieren in der Schweiz der Wettbewerb der Ideen und die Integration von politischen Minderheiten.
  • Dies im Gegensatz zu all denjenigen Gemeinwesen, die – mit den Worten von Hayek – die ganze Gesellschaft zu einer einzigen Organisation machen, die nach einem einzelnen Plan entworfen und geleitet wird.

Vieles spricht dafür, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Ein von unten nach oben aufgebautes Gemeinwesen ist weit besser auf die Herausforderungen einer fragmentierten Gesellschaft vorbereitet als zentralverwaltete politische Systeme. Verschiedenheit lässt sich nur mit Verschiedenheit bewältigen. Die Eidgenossenschaft hat Zukunft. Wir tun gut daran, dem Sonderfall Schweiz Sorge zu tragen.

Erstpublikation am 26.8.2025 auf www.nebelspalter.ch

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Weshalb das EU-Vertragspaket bei der Bundesverwaltung grenzenlose Begeisterung auslöst.

Dies gelesen: «Die Verwaltung löst die meisten Gesetzesprojekte aus.» (Quelle: NZZ, 28.12.2023)

Das gedacht: Im Grunde genommen ist die Sache einfach: National- und Ständerat bilden die Legislative, die gesetzgebende Behörde. Der Bundesrat und die Bundesverwaltung als exekutive Behörde vollziehen diese Gesetze. So steht es in jedem Schulbuch.

Mit diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen hat die Gewaltenteilung von heute allerdings immer weniger zu tun. Auch in der Schweiz. Nicht die gewählten Volksvertreter, sondern die Verwaltung löst die meisten Gesetze aus.

  • Eine aktuelle Studie untersuchte 447 Gesetzgebungsprojekte und Verfassungsrevisionen seit 1972. 225 aller Gesetzesvorlagen gingen auf die Initiative der Verwaltung zurück, also mehr als 60 Prozent.
  • Das Parlament hatte mit Motionen und parlamentarischen Initiativen nur gut halb so viele Gesetzesprojekte lanciert wie die Exekutive. In 26 Fällen stand eine Volksinitiative am Anfang.

Die grosse Mehrheit der Gesetzesprojekte widerspiegelt nicht den Gestaltungswillen des Volkes und des Parlaments, sondern die politische Agenda von Staatsangestellten ohne einen Bezug zu den Unsicherheiten des privaten Sektors und zu den wirtschaftlichen Folgen des eigenen Handelns. Mehr

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Wie der liberale Arbeitsmarkt auf dem Altar der Personenfreizügigkeit geopfert wird.

Dies gelesen: «Der flexible Arbeitsmarkt wird nicht eingeschränkt.» (Quelle: Erläuternder Bericht zum EU-Vertragspaket, S. 214)

Das gedacht: Die Gewerkschaften in der Schweiz haben ein Problem. Sie leiden unter Schwindsucht. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an allen Beschäftigten halbiert. Heute ist nicht einmal mehr eine von sechs angestellten Personen bereit, die Gewerkschaften mit einem freiwilligen Beitrag zu unterstützen. Als Stimme der arbeitenden Bevölkerung fehlt den Gewerkschaften jede basisdemokratische Legitimation.

Nur, für die Gewerkschaftsbosse ist dies kein Problem. Wer braucht schon Mitglieder, wenn man die eigene Organisation mit staatlichem Zwang künstlich beatmen kann? Zum Beispiel mit den flankierenden Massnahmen, dem innenpolitischen Begleitprogramm zur Personenfreizügigkeit. Mit Blick auf den liberalen Arbeitsmarkt ein Trauerspiel in drei Akten:

Erster Akt: Die Volksabstimmung

Im Jahre 200o stimmt das Volk der Einführung des freien Personenverkehrs zwischen der Schweiz und der EU zu. Der Angst vor Lohndruck begegnete man mit flankierenden Massnahmen. In den Abstimmungsunterlagen begründete der Bundesrat diese wie folgt: «Damit ausländische Arbeitskräfte und Firmen das in der Schweiz geltende Lohn- und Sozialniveau nicht missbräuchlich unterschreiten, haben Bundesrat und Parlament griffige Gegenmassnahmen beschlossen». Das Versprechen des Bundesrates war unmissverständlich und fand breite Zustimmung. Im Fokus der flankierenden Massnahmen sollte der Missbrauch der Personenfreizügigkeit durch ausländische Entsendebetriebe stehen. Mehr

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Die direkte Demokratie ist mehr als Volksabstimmungen

Dies gelesen: «Das Verfahren für die dynamische Rechtsübernahme steht im Einklang mit den bestehenden innerstaatlichen Verfahren.» (Quelle: Erläuternder Bericht zum EU-Vertragspaket, S. 90)

Das gedacht: Für den Bundesrat ist die Sache klar. Mit den neuen Abkommen mit der EU bleibt innen- und aussenpolitisch alles beim Alten. Mit der dynamischen Rechtsübernahme verändern sich seines Erachtens weder die innerstaatlichen Verfahren noch die bilateralen Beziehungen. In der Tat. Volksabstimmungen finden nach wie vor statt. Die institutionellen Elemente des EU-Vertragspakets haben für den Bundesrat keinen verfassungsrechtlichen Charakter. An der Urne braucht es deshalb nach Ansicht der Regierung kein Ständemehr. Eine formalistische Betrachtungsweise, die mit der Verfassungswirklichkeit der Schweiz nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.

4 Gründe, warum die direkte Demokratie mehr ist als Volksabstimmungen Mehr

Politik

Warum der Bundesrat immer mehr zum Problem wird

Gemäss Art. 174 der Bundesverfassung ist der Bundesrat die «oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes ». Und nicht der Chefverkäufer einer staatlichen Propagandamaschine.

Dies gelesen: «Das EU-Vertragspaket ist wie der Rütli-Schwur» (Quelle: Bundesrat Jans, blick.ch. 15.6.20259)

Das gedacht: Die Absicht ist klar. Mit dem Rütli-Schwur-Vergleich will Bundesrat Jans der SVP mit Blick auf die Auseinandersetzungen um das EU-Vertragspaket den Wind aus den Segeln nehmen und seinerseits die patriotische Karte spielen.

Ebenso klar ist, dass dies Unsinn ist. In der Logik des EU-Vertragspakets hätten Uri und Schwyz Gesetze erlassen können, die auch für Unterwalden verpflichtend gewesen wären. Im Verweigerungsfall hätten Uri und Schwyz ihre Bundesgenossen mit Ausgleichsmassnahmen bestrafen können.

Vielfalt in der Einheit

Die Spielregeln des EU-Vertragspakets sind das exakte Gegenteil von allem, was die alte Eidgenossenschaft auszeichnete.  Dem Genossenschaftsgedanken entsprechend war diese als eine Verbindung von unterschiedlichen, aber gleichberechtigten Stadt- und Länderorten organisiert.

Im genossenschaftlichen Selbstverständnis geht es nicht um Einheitlichkeit, sondern um die in der Präambel der Bundesverfassung angesprochene Vielfalt in der Einheit. Voraussetzung und Zielsetzung der Mitgliedschaft in der Eidgenossenschaft war nicht die Angleichung der politischen Systeme der einzelnen Orte.

In Zürich gaben die Zünfte den Takt an, in Bern die Patrizier. In Appenzell wurden die öffentlichen Angelegenheiten von allen wehrfähigen Männern an der Landsgemeinde entschieden.

Der Respekt vor den unterschiedlichen Verfassungsstrukturen und der Verzicht auf eine starke Zentralgewalt machten das Besondere der Eidgenossenschaft aus. Jeder Ort erledigte die öffentlichen Angelegenheiten für sich selbst, angepasst an die lokalen Verhältnisse.

Mit der Bundesverfassung von 1848 gelang es, die Bedürfnisse der Moderne mit dem staatspolitischen Kerngehalt der alten Eidgenossenschaft zu verbinden und diesen in die Zukunft zu führen. Der Föderalismus, die direkte Demokratie und das Milizsystem zeichnen bis heute die Schweiz aus. Mehr